Neu-Organisation

Wie wichtig Lichtmanagement in der Wohnung ist, merkt man erst, wenn man auf jedes bisschen Helligkeit angewiesen ist. Noch dazu hatten wir ein Glühbirnenproblem. Sowohl in der Abstellkammer als auch im Badezimmer und in der Küche waren die Leuchtmittel kaputt. Keine Chance, sie selbst zu wechseln. Ich tappte durch die Wohnung und versuchte, mich zurechtzufinden, die Kinder zu versorgen. Sind die Fingernägel schon zu lang? Ich würde meine Mutter fragen müssen. Kochen erwies sich als Kraftakt für die Augen. Ich griff zu Nudeln und Reis, weil man sich dabei nicht in die Finger schneiden kann. Mein Kopf wäre aber ohnehin zu nicht viel mehr in der Lage gewesen. Er schmerzte immer noch. Der Nacken war steif, mein Bewusstsein getrübt. War es still um mich herum, vernahm ich ein Dröhnen, das ich zuvor nie wahrgenommen hatte. Es war anders als ein Tinnitus. Lauter, durchdringender, schriller. Mir war schwindlig beim Gehen. Die kurzen Spaziergänge im Wald fühlten sich gleich auf mehrere Arten unsicher an.

Wir mussten uns neu organisieren. Am Stadtrand zu wohnen, ist schön, aber wer nicht Auto fahren kann, muss viel Zeit für sämtliche Wege einplanen. “Busfahren?”, sagten die Kinder und verzogen das Gesicht. “Hilft nix”, antwortete ich. Die Lebensmittel ließen wir uns liefern. Dann fiel der Schule ein, man könne die letzten Ausflüge des Jahres bereits eine Viertelstunde vor Unterrichtsbeginn starten. Also noch früher los. Wir fuhren mit dem Taxi. Krank zu sein kostet Zeit, Geld und Energie. Die wohlgemeinten Ratschläge, ich solle mich möglichst viel hinlegen und ausruhen, konnte ich nur mit einem müden Lächeln erwidern. Ich saß doch den halben Tag im Bus oder auf der Augenklinik. Wann blieb da noch Zeit, sich auszuruhen? Sehnsüchtig zählte ich die Tage bis zur Zeugnisverleihung. Neun Wochen Ferien. Neun Wochen lang keinen zusätzlichen Weg organisieren müssen. Wenn ich morgens die Augen aufschlug, hätte ich diesen trüben Schleier am liebsten zerrissen. “Geh weg!”, wollte ich schreien und den Nebel von meinen Augen kratzen. Stattdessen stand ich auf und warf einen Blick auf meinen Computer. Die Linien der Buchstaben tanzten wie unruhige Ameisen, aber hier und da konnte ich etwas erkennen. Das Kortison wirkte.

Es war seltsam, Menschen auf der Straße zu begegnen. Man grüßte mich freundlich und ich musste erst mühselig eruieren, wer da vor mir stand. Meistens erkannte ich es am Gang oder an den Haaren, manchmal brauchte ich dafür aber so lang, dass die Person längst an mir vorübergegangen war, ehe ich sie einordnen konnte. Ich fühlte mich orientierungslos und verloren im Morgenverkehr. Wir gingen langsam, obwohl wir es eilig hatten, aber Sicherheit geht vor. Ich konnte die Geschwindigkeit der Autos nur schwer einschätzen. An trüben Tagen war es besonders schlimm. Die Dunkelheit vor meinen Augen wurde durch die grauen Wolken intensiviert und ich kam mir vor, als säße ich in einem einsamen Loch. Völlig isoliert von all den Menschen, denen ein Sommer voller Sonnenschein und Spaß bevorstand. Wir wollten doch schwimmen gehen und möglichst viel Zeit bei unserer Hütte im Wald verbringen. Ohne Auto ein Ding der Möglichkeit. Es würde ein dunkler Sommer werden, gefolgt von einem langen Winter. Bei dem Gedanken daran wurde mir übel. Ich setzte mich in den Bus nach Hause und die Tränen liefen mir über das Gesicht. Ich redete mir ein, dass es gut war, unterwegs zu sein. So wie es aussah, würde ich mich an diesen Zustand gewöhnen müssen und das ging nur, wenn ich mich nicht zu Hause verkroch. Aber zu Hause. Zu Hause war alles so einfach. In dieser gewohnten Umgebung fühlte es sich so sicher an. Nicht so dunkel und bedrohlich wie dort draußen.

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