Knapp zwei Wochen waren vergangen, seit ich die ersten schwarzen Flecke vor meinem rechten Auge hatte tanzen sehen. Das Kortison tat seine Wirkung und die kleinen Dinge des Alltags kehrten in den Fokus meiner Wahrnehmung zurück.
„Die Ameisen sind noch da?“, rief ich eines Morgens überrascht, als ich die wuselnden, schwarzen Punkte auf meiner dunkel gemaserten Arbeitsplatte entdeckte. „Ja, klar. Die ganze Zeit“, antwortete das große Kind. „Na toll. Und ich hatte mich schon gefreut, dass mit dem Auftauchen des VKH-Syndroms die Ameisenplage verschwunden ist…“ Ich legte den Kopf in den Nacken und begutachtet die Zimmerdecke. Unzählige Fruchtfliegen saßen dort und kackten vermutlich gerade munter auf die weiße Farbe. „Hallo, Fruchtfliegen“, brummte ich und schüttete einen Schluck Apfelsaft und Spülmittel in ein Glas. Ein nasses Grab für die kleinen Insekten, die andernfalls bald unsere Wohnung übernehmen würden. „Sonst noch Ungeziefer, Dreck oder Schrammen?“ Ich musterte meine Hände und sah zum ersten Mal den Schnitt an meinem Finger, der seit Tagen höllisch brannte. Die Kinder lachten. „Ja, überall liegen Hundehaare und dort ist Staub und der Wind hat Blätter ins Badezimmer geweht“, teilten sie mir mit. „Ok. Wenn Besuch kommt, sage ich, dass ich das leider, leider nicht sehen kann.“ Wir grinsten einander an, dann klappte ich den Computer auf und kochte Kaffee. Nachdem ich die Schriftgröße des Textes auf 16 Punkt gestellt hatte, las ich die Anmerkungen meiner Lektorin und begann mit den Korrekturen.
„Wir sind bei 40 Prozent Sehschärfe“, stellte der Arzt zufrieden fest. „Merken Sie eine Verbesserung?“ „Ja“, antwortete ich voller Freude. „Ich kann wieder arbeiten.“ Der Arzt freute sich mit mir. „Ab 50 Prozent kann man recht passabel lesen und die knacken wir bald. Spätestens in drei Wochen, würde ich sagen, aber versprechen kann ich es natürlich nicht.“ „Ja klar“, erwiderte ich schnell. Wie glücklich ich bereits mit dem jetzigen Zustand war, konnte ich gar nicht ausdrücken. Ich sah Gesichter, konnte die Buchstaben wieder erfassen, deren Linien zwar immer noch schillerten und wuselten, aber zumindest nicht hinter einem grauen Zerrfilter verschwanden.
Ein Kommentar zu „Hallo, Ameise! Hallo, Fruchtfliege!“