Happy Birthdays!

Eine Woche war vergangen, seit ich die ersten Symptome des Vogt-Koyanagi-Harada Syndroms in meinen Augen wahrgenommen hatte. Eine Woche, in der ich fast blind geworden bin. Dank der Medikamente spürte ich bereits wieder eine leichte Verbesserung meiner Sehkraft, aber ich war ausgelaugt, ängstlich, stand unter einer gewaltigen Spannung und meine Wahrnehmung war so fürchterlich verzerrt. Ich kenne das zur Genüge, aber diesmal war es anders, und ich konnte den genauen Grund dafür nicht ausmachen. War es das VKH? Mein Trauma? Oder doch das Kortison? Alles verschwamm zu einem undefinierbaren Brei und zwischendrin mussten Geburtstage gefeiert werden.

“Ich habe kein Geschenk für dich”, sagte ich, als meine Mutter zu uns kam. Das große Kind hatte zumindest einen Kuchen gebacken und dann war es gemeinsam mit dem kleinen Kind zur Gärtnerei geflitzt und hatte Blumen besorgt. “Und diese Karte schreibst du, Mama”, sagten die zwei zu mir und drückten mir einen dicken, schwarzen Filzstift in die Hand. “Den kannst du sehen, oder?”
“Ja, danke.”
Als meine Mutter die Karte gelesen hatte, fielen wir uns weinend in die Arme. Die Kinder sahen einander irritiert an und klammerten sich dann ebenfalls an uns. So standen wir also eine Weile, bis wir endlich beschlossen, dass nun Kuchen gegessen werden müsse. Kuchen macht alles ein klitzekleines bisschen besser.

“Sollen wir diese Party wirklich machen?”, fragte meine Mutter, weil es mit dieser bescheidenen Feier an jenem Wochenende noch nicht getan war.
“Wir müssen. Wann, wenn nicht jetzt?” Das große Kind hatte bereits vor Wochen Geburtstag gehabt und die große Fete in einer Trampolinhölle zusammen mit allen Freundinnen war längst geplant. Wie unpassend, dass die Mutter genau jetzt spontan schwer sehbehindert geworden war. Mit der Hilfe einer Freundin filzte ich die Webseite des Betreibers.
“Man kann einen Trainer buchen”, sagte sie. “Aber nur für eine Stunde.”
“Ich schreib’ ihnen mal”, antwortete ich und hielt mir das rechte Auge zu, damit ich die Buchstaben auf meinem Handy besser erkennen konnte. Wenig später war alles organisiert. Man ließ uns den Trainer für die gesamte Dauer der Party buchen und auch für anderes Essen wurde gesorgt. “Was kost’ die Welt?”, seufzte ich mit einem nervösen Blick auf meinen Kontostand. Aber was solls’s. Man wird schließlich nur einmal zehn Jahre alt. Happy Birthday, mein Schatz.

Die Party war grandios. Für die Kinder wie auch für mich und meine Mutter, die sowohl als Taxi als auch tatsächlich sehende Aufsichtsperson fungierte. Die Kleinen hüpften, bis der Schweiß tropfte, und die Großen saßen im Zuschauerbereich und beobachteten das Spektakel. Die eine mehr, die andere eben weniger. Wir hatten es geschafft. Trotz aller Widrigkeiten hatten wir diese Woche überlebt. Der Hüftschnupfen war auskuriert. Ich war mit dem kleinen Kind zum Kinderarzt gefahren und hatte es untersuchen lassen. Wir waren pünktlich zu diesen verdammt frühen Schulausflügen gekommen. Wir waren nicht verhungert und hatten uns gegenseitig nicht die Köpfe eingeschlagen auf dieser emotionalen Achterbahnfahrt. Und jetzt hatten wir diese Party auch noch erfolgreich durchgezogen. Ich spürte, wie sich eine tiefe Zufriedenheit und Erschöpfung in mir ausbreitete. Nur mehr zwei Wochen Schule, dann war es endlich geschafft. Nur noch zwei Wochen durchhalten, dann würde uns dieses schreckliche System mit all seinen Zwängen nicht mehr quälen auf unserer Odyssee durch dieses durcheinandergewürfelte Leben. Zumindest für neun Wochen.

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