Ein Monat ist es her, dass ich frühmorgens die Augen aufschlug und schwarze Flecken tanzen sah. Ein Monat mit VKH-Syndrom. Wie schnell diese Zeit vergehen und wie viel in diesen Tagen geschehen kann. Angst und Isolation, Hoffnung und Erleichterung liegen manchmal nur ein paar Milligramm Kortison voneinander entfernt. Wie froh ich bin, dass jetzt Ferien sind.
„Schupf‘ mich in den Pool!“, rief das kleine Kind und sah seine Großmutter herausfordernd an.
„Ich schupfe dich so fest, dass dir Hören und Sehen vergeht!“, sagte sie mit einem gespielt drohenden Gesichtsausdruck.
„Wie passend“, erwiderte ich und erntete einen fragenden Blick.
Das kleine Kind aber lachte. „Das ist lustig, weil man vom Vogt-Koyanagi-Harada Syndrom blind und taub werden kann. Da kann Mama wirklich Hören und Sehen vergehen.“
„Ups“, sagte meine Mutter mit einem verlegenen Lächeln auf den Lippen. Ich aber wunderte mich nur darüber, dass sich das kleine Kind den sperrigen Namen dieser Erkrankung gemerkt hatte.
Wir fuhren zurück nach Hause und ich fühlte mich trotz VKH-Syndrom und Gürtelrose so erholt wie schon seit Jahren nicht mehr. Da saß ich also wieder. Ich war am Küchentisch und überlegte mir die nächste Geschichte, obwohl ich mich doch eigentlich um organisatorischen Kram kümmern sollte. Wer holt den Hund ab? Was essen wir? Welche Wäsche stopfe ich zuerst in die Maschine? Nun gut, zumindest Letzteres ist keine wirkliche Frage, denn darauf gibt es nur eine Antwort: Die dunkle natürlich. Ich merkte, dass ich aufpassen muss. Wenn mich dieser vergangene Monat etwas gelehrt hatte, dann ist es die Tatsache, dass ich mit meinen Ressourcen sorgsamer umgehen muss. Also bestellten wir doch Pizza, denn obwohl wir in Italien gewesen waren, hatten wir davon erstaunlich wenig gegessen. Es sprach also kein Grund dagegen und viele dafür.
Und dann? Wie verbringt man ein Jubiläum wie dieses? Eines, das man nicht feiern möchte und dabei trotzdem das Gefühl hat, den zurückliegenden Ereignisse und Entwicklungen ein gewisses Maß an Bedeutung schenken zu müssen. Weil sie einfach zu schwer wiegen, um sie zu ignorieren. Ich zog eine Postkarte aus dem Rucksack, die ich an unserem letzten Abend in Bibione entdeckt hatte und dem Schweizer schicken wollte. Sie zeigt ganz eindeutig uns; die Kinder und mich. Perfekter kann ein Urlaubsgruß kaum sein. Ich schrieb ein paar Zeilen auf die Rückseite, dann klappte ich den Computer auf und kochte Kaffee. Manche Dinge werden sich eben nie ändern. Egal, wie gut die Vorsätze sind. Egal, wie verändert die Umstände. Manche Dinge will man einfach nicht gehen lassen.

Als es gegen zehn Uhr abends richtig dunkel geworden war, trat ich vor die Haustür und legte den Kopf in den Nacken. Über den Nachthimmel zog blinkend ein Flugzeug. Suchend ließ ich meinen Blick weiter gleiten und dann sah ich sie: die Sterne. Ich konnte tatsächlich die Sterne sehen. Nicht so hell und deutlich wie vor fünf Wochen, aber da waren sie. Ohne Zweifel. Unzählige milchig weiße Punkte in weiter Ferne.