So ein Körper ist eine fragile Angelegenheit. Eine Kleinigkeit, die aus dem Ruder läuft, genügt und schon … Ist alles anders. Wenn man den Großteil seiner Sehschärfe im Laufe eines Wochenendes verlieren kann, was kann dann noch passieren?
Der erneute Abschied vom Kortison ist mental schwieriger als erwartet. Ein Versuch ist bereits fehlgeschlagen – vor zwei Wochen nahm ich nun also zum zweiten Mal die letzte Dosis. Die allerletzte soll es sein, das nahm ich mir vor und begann dennoch zu warten. Auf Kopfschmerzen, auf den Tinnitus, auf eine Augenentzündung, auf den Nebel, der sich über die Welt und mein Bewusstsein legt. Bisher ist nichts passiert, aber mir wurde klar, dass mich das ständige Warten auf ein Versagen meines Körpers nicht weiterbringen wird. Stattdessen muss ich Vertrauen zu ihm aufbauen. Ihm etwas zutrauen. Ihm zutrauen, dass er das kann. Dass er weiß, wie Leben und Gesundheit funktionieren. Ich muss mir meiner eigenen körperlichen Stärke bewusst werden.
Also begann ich zu laufen. Ich kaufte mir Hanteln und mache seitdem Tag für Tag brav jene Übungen, die so gut für meine nicht mehr existenten Bauchmuskeln sein sollen. Ich krempelte meine Ernährung um, weil es dafür sowieso höchste Zeit war. Die monatelange Einnahme von Kortison setzt dem Verdauungssystem ganz schön zu und alles schrie nach Entlastung. Anfangs waren diese Prozeduren eine Qual. Kaum zwei Minuten am Stück hielt ich die Rennerei durch.
Ich bin so schwach. Ich kann das nicht. Die Stimme in meinem Kopf war laut, aber ich versuchte, sie zu ignorieren. Weitermachen. Es wieder versuchen. Aus zwei Minuten werden fünf, aus zehn werden fünfundvierzig. Es gelang und mittlerweile ist der Sport zu einer gewissen Routine geworden.
“Du kannst Sport machen?”, fragte mich die einzige deutschsprachige VKH-Betroffene, die ich online getroffen habe.
“Ja”, erwiderte ich kleinlaut und realisierte erst jetzt, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.
“Wir haben einen Körper und wir sind unser Körper”, hörte ich einen weisen Mann sagen und mir wurde bewusst, dass dadurch sämtliche Besitz- und Kontrollansprüche zunichtegemacht werden. Das Sein lässt sich nicht kontrollieren. Es lässt sich nur bis zu einem gewissen Grad beeinflussen und wir können alles tun, um auf unseren Körper aufzupassen. Ihn vollständig kontrollieren, das wird nicht gelingen, auch wenn das Streben danach allseits groß ist. Also laufe ich. Vielleicht ist es ein Dagegen-Anlaufen. Gegen einen erneuten Schub, gegen die Machtlosigkeit und dieses Gefühl, dem Körper als eine Art höhere Macht ausgeliefert zu sein. Nur ein Davonlaufen, das ist es ist nicht. Sollte das VKH noch einmal zurückkehren, dann ist das eben so. Ich werde ihm gegenübertreten. Mit ein bisschen mehr Kraft als zuvor.