Tränen, Kopfschmerz und ein Schleier

“Wie geht’s”, fragte der Schweizer.
“Gut! Und selbst?”
“Wunderbar!”
Wir hoben die Tassen. Sein Tee dampfte im fahlen Licht der Wintersonne, die durchs Fenster in sein Zimmer schien. Weit weg. Hunderte Kilometer westlich von jenem Platz, an dem ich gerade saß. Durch mein Fenster schien die Sonne nicht. Es war ein trüber und regnerischer Tag auf dieser Seite der Leitung.
“Wie geht’s den Augen?”
“Auch gut”, antwortete ich und wiegte mich in absoluter Sicherheit. Umso größer war die Verwunderung, als sich wenige Stunden später ein Schleier zeigte. Ich saß gerade beim Friseur und mein rechtes Auge konnte plötzlich nicht scharfstellen. Ich blinzelte. Da war es wieder, mein Spiegelbild. So klar und deutlich wie eine Sekunde zuvor. Aber der Schleier kehrte zurück. Wieder und wieder. Ein stechender Schmerz gesellte sich dazu und ich gab mir Mühe, ihn zu ignorieren.

Das rechte Auge tränte die ganze Nacht. Es fühlte sich an, als würde es still vor sich hin weinen. Und es schmerzte. “Freitag”, dachte ich. “Natürlich kommt das an einem Freitag.” Aber ich hatte keine Lust, ins Krankenhaus zu fahren. Ich erledigte meine Aufgaben, nahm einen wichtigen Termin wahr und ignorierte den Schmerz in meinem rechten Auge. Vielleicht würde er wieder aufhören. Wenig später gesellte sich ein Kopfschmerz dazu. Mein Nacken fühlte sich steif an. Und das kurz vorm Wochenende.

Wochenende. Ich würde es nutzen. Ich würde mich hinlegen und höchstens einmal einkaufen fahren. Den Kindern erklärte ich, was Sache war. Ruhe. Ich brauche Ruhe. Den halben Samstag verbrachte ich im Bett. Das Auge tränte und schmerzte. Morgens war es verklebt und ich musste es erst mühsam freikratzen, um es öffnen zu können.
“Fährst du ins Krankenhaus?”, fragte eine Freundin.
“Nein. Nicht am Wochenende. Ich bleibe erst mal im Bett”, antwortete ich und zog den Plan durch. Ich meditierte und schlief, ich spielte mit den Kindern und schlief wieder. Ich sagte mir selbst, dass ich keine Lust auf eine weitere Runde VKH habe. Die letzten Wochen waren wieder einmal stressig gewesen, aber jetzt … Jetzt sollte wieder Ruhe einkehren. Ich versprach es mir selbst und als ich am Montag aufwachte, ging es meinem Auge besser. Die Schmerzen verschwanden, die Tränen versiegten und der Schleier hob sich. Glück gehabt.

Ich will gesund sein. Ich will, dass es bleibt, wie es ist. Aber ich spüre, dass dieser Balanceakt weitergeht. Ein bisschen zu viel Stress, ein wenig zu viel Arbeit und schon kommt dieses Gefühl zurück. Der Kopfschmerz, die Müdigkeit und im schlimmsten Fall die Augen und das Gehör. An das seltsame Dröhnen in meinen Ohren habe ich mich schon gewöhnt. Es lässt sich übertönen vom alltäglichen Krach, von Musik und dem Gezanke der Kinder. Wird es still um mich, kommt das Wummern. Ich will es nicht hören, verschließe die Augen vor dem Geräusch und schalte die Musik wieder ein. Von anderen Betroffenen weiß ich, dass das Gehör nicht so leicht wiederkommt. Trotzdem kann und will ich mich damit nicht auseinandersetzen. Nicht, solange es nicht richtig akut ist. Vielleicht ist das dumm. Vielleicht fehlt mir nur langsam die Energie für all das.

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