Selbständig und krank

Krankenstand? Irgendwelche Notfallfonds? Sonstige Möglichkeiten, an die wir noch gar nicht gedacht hatten? Eine Freundin und ich durchforsteten das Internet nach Informationen, ob es in diesem vermeintlichen Sozialstaat für Menschen wie mich Hilfe gibt. Die Ergebnisse waren – wie ohnehin erwartet – ernüchternd. Selbständig und krank zu sein, sind zwei Eigenschaften, die einander auszuschließen haben.
“Tja, als Selbständige darf man nicht krank werden”, sagte mir jemand. Am liebsten hätte ich die Arme in die Luft geworfen und gerufen: “Meine Güte! Warum hat mich denn bloß vorher niemand gewarnt? Dann hätte ich mich doch nicht bewusst für so eine Scheiße wie Vogt-Koyanagi-Harada entschieden.” Ich verkniff mir meinen Sarkasmus. Stattdessen sagte ich mal wieder gar nichts und sparte mir meine Energie für die hoffnungslose Suche nach finanzieller Hilfe. Sozialstaat und so, eh schon wissen.

“Hast du keine Betriebsunterbrechungsversicherung?”, fragte mich eine andere Person. Ich wiederholte, was ich bereits mehrfach an anderer Stelle erläutert hatte: “Ich habe mal versucht, eine abzuschließen, aber aufgrund von Vorerkrankungen, bin ich leider ein zu hohes Risiko für die Versicherungen.”
Meistens herrscht nach dieser Antwort betretenes Schweigen und so war es auch in diesem Fall. Ich hingegen fragte mich, warum man solche Fragen immer in eine Art Vorwurf packen muss. Wer in einer Notsituation ist, muss irgendwie selbstverschuldet hineingeraten sein, nicht wahr? Oftmals wird dann so lange nachgefragt, bis man auf einen möglichen Grund stößt.
“Ha! Hättest du es anders gemacht, dann würdest du jetzt nicht hier hocken und Trübsal blasen, sondern Champagner schlürfen und dich an deiner Krankheit erfreuen”, scheinen die zufriedenen Gesichter der vermeintlichen Aufdecker dann zu sagen. Und ich kann den Leuten nicht einmal böse sein, denn ich ertappe mich ja oft selbst dabei. Dann muss ich meine Gedankengänge aktiv kontrollieren, um mich nicht zu falschen Schlüssen hinreißen zu lassen und zu denken: “Na, ein bisschen bist du schon auch selbst schuld an deiner Lage…”

Opferbashing nennt man das wohl und das fühlt sich nicht gut an. Weder als jemand, der in irgendeiner Form Gewalt erlebt hat, noch als jemand, der krank ist. An manchen Dingen ist ganz einfach jemand anderes schuld, für andere kann hingegen niemand etwas. Man mag es als Schicksal oder Pech oder was auch immer bezeichnen, aber manchmal sind die Dinge einfach so, wie sie sind. Auch wenn ein selbständig arbeitender Mensch noch nie über eine Berufsunterbrechungsversicherung nachgedacht hat, ist es sinnlos, dieser Person im Fall einer Krankheit und der damit verbundenen finanziellen Probleme Vorwürfe zu machen. Es ändert doch nichts an dem Zustand. Oder doch. Es erzeugt zusätzlichen Druck, Scham und Schuldgefühle. Es hebt den Aufdecker des Problems über die Person, die sowieso schon in der Scheiße sitzt und drückt sie noch ein Stückchen weiter hinunter. Man kann auf solche Fragen also getrost verzichten, finde ich.

“Aber irgendetwas muss es doch geben, wenn man selbständig und krank ist”, sagte eine weitere Person, die es nicht glauben konnte. “Wir leben doch in Österreich!” Ja, eben. Wer sich einmal mit dem System Selbständigkeit und Unternehmertum in diesem Land beschäftigt hat, dürfte keine weiteren Fragen haben. Ich wollte es auch immer noch nicht ganz glauben und saß also da, auf der Suche nach zwei Dingen: finanzieller Hilfe und einem Grund, warum ich selbst Schuld an meiner Misere war.

Die Einschätzung der Versicherung, meine Arbeitsunfähigkeit sei gewiss nach spätestens drei Wochen beendet und ich daher nicht leistungsberechtigt, flatterte wenige Tage später ins Haus.

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