“Nein” ist ein ganzer Satz.

“Kannst du das für mich erledigen?”
“Können die Kinder doch bei dir bleiben?”
“Schaffen Sie das bis morgen? Es wäre wirklich dringend…“
“Geht das nicht ein bisschen günstiger?”
“Kann meine allerallerbeste Freundin bei uns übernachten?”
“Können wir noch ins Shoppingcenter fahren und ein Geburtstagsgeschenk für XY besorgen?”

Ja. Für gewöhnlich lautet die Antwort auf all diese und hunderte andere Fragen: Ja. Ihr wollt? Ich liefere. Ihr braucht? Nehmt alles, was ich habe. Als das Vogt-Koyanagi-Harada Syndrom mit all seiner Macht zuschlug, bäumte ich mich auf, versuchte mit Gewalt, mich gegen die Einschränkung zu wehren. Und musste nach wenigen Tagen feststellen: Es geht nicht. Ich kann nicht. Wenn ich mir selbst etwas wert bin, dann muss ich meine Prioritäten neu überdenken. Wie seltsam. Muss ich erst blind werden, um den Fokus richtig setzen zu können? Es hat den Anschein.

Man strukturiert sein Leben ja in der Regel nicht freiwillig um. Na gut, manchmal schon, aber häufig steckt doch eine gewisse Art von Leidensdruck dahinter. Dinge, die sich eingeschlichen haben, die irgendwie relativ gut funktionieren und an deren Last und Schmerz man sich nun mal schon gewöhnt hat, belässt man meist so, wie sie sind. Es ist schließlich unangenehm, Abläufe neu zu erfinden. Dann hakt es für eine Weile im System, es treten unerwartete Widerstände auf, und kreative Lösungen zu finden, erfordert außerdem Zeit und Energie. Mein Leidensdruck war nun groß genug. Es musste sich etwas ändern. Und zwar jetzt.

Ich begann damit, nein zu sagen. Nein, ich kann die Kinder nirgendwohin bringen. Nein, ich kann das nicht besorgen, wir müssen eine andere Lösung finden. Nein, ich kann nicht kochen, weil ich mir dabei in die Finger schneide und dann nicht einmal die Wunden erkenne. Nein, ich habe keine Lust darauf, mir dein permanentes Genörgel über belanglose Dinge anzuhören. Und nein, ich habe weder die Zeit, noch die Lust oder die Energie, mich mit dir zu treffen. Weder heute noch sonst irgendwann. Leb wohl.

Na gut, ganz so vehement war es nicht, aber ich fand deutlichere Worte als je zuvor. Man schluckte. Sah mich irritiert an. Und akzeptierte das Nein. Manchmal nach längeren Diskussionen, manchmal auf Anhieb. Ich wunderte mich. So leicht ist es, Energie zu sparen? Warum hatte mir das vorher niemand gesagt? Also bis auf sämtliche Freundinnen, die das seit Jahren predigen und mich dabei ernst ansehen. “Nein ist ein ganzer Satz, liebe Anna Lisa!” Ja, hätte ich bloß mal auf euch gehört, nicht wahr? Aber besser spät als nie und deshalb brach ich die Verbindungen zu manchen Personen ab, wies andere in ihre Schranken und wählte mal wieder die Nummer des Chinarestaurants.
“Einmal Zhao Fan und Zhao Mian, bitte. Ohne Erbsen und Frühlingszwiebel, dafür mit Karotten.” Die Kinder jubelten im Hintergrund.

Und dann begann ich, die Arbeit neu zu priorisieren. Was ist mir wirklich wichtig? Die Bücher, schoss es mir sofort durch den Kopf. Nichts anderes. Ich will Bücher schreiben. Ich beschloss, dass ich all meine Energie und meine Lesefähigkeit – sobald sie wieder da wäre – für das einsetzen wollte. Ich hatte viel zu viele Aufträge angenommen in diesen letzten Monaten. Ja, man braucht das Geld. „Die Kinder wollen essen, das darfst du nicht vergessen“, singt Helge Schneiders Stimme unaufhörlich in meinem Kopf. Aber es muss doch auch irgendwie gehen, ohne sich selbst völlig zugrunde zu richten. Man muss doch irgendwann zwischen all der Erwerbs- und Care-Arbeit und dem ohnehin schon auf Sparflamme laufenden Haushalt noch atmen können. Also holte ich tief Luft und sagte nein.

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