Die Rückkehr des Alltags

Da war er wieder. Erbarmungslos hatte er sich angeschlichen und wir konnten seine Ankunft auf dem Kalender beobachten, wie Leonardo DiCaprio das Herannahen des Asteroiden in “Don’t look up”. Ein neues Schuljahr brach an und mit ihm kehrten all die Unannehmlichkeiten zurück, die ein so starres System eben mit sich bringt. Ich selbst hatte mit der Schule aus genau diesem Grund vom ersten Tag an gewisse Probleme. Dass man zu ihr zurückkehrt, wenn man seinen Kinderwunsch in die Tat umsetzt, daran denkt man dummerweise nicht.

Da war er dann also. Der erste Tag in der dritten Klasse und der erste Tag im Gymnasium. Die Aufregung stand beiden ins Gesicht geschrieben. Während das kleine Kind fröhlich dem Vertrauten entgegen hüpfte und sich auf seine Freunde freute, schritt das große Kind der völligen Ungewissheit entgegen. Es tat dies voller Zuversicht und hocherhobenen Hauptes. “Das wird gut”, sagte ich.
“Ja”, erwiderte das große Kind und nicht der geringste Zweifel war in seiner Stimme zu hören.
Und wir hatten Glück, das Paket aus Lehrer:innen und Mitschüler:innen schien ein gutes zu sein und der Schulfrust der vergangenen Jahre verwandelte sich schlagartig in pure Motivation und Freude.

Mit diesem ersten Tag war also ein Punkt abgehakt. Blieben nur noch die Elternabende, regelmäßige Besuche im Schreibwarenladen, um jedes Heft – mit und ohne Rand, mit 20 oder 40 Blatt, kariert, liniert oder doch lieber ohne alles – zu besorgen. Nicht zu vergessen das Auftreiben von Turnschuhen, Sporttasche, Sammelsteher (Ich wusste bisher nicht, dass die Dinger so heißen …), Vorhängeschloss (mit 3!!! Schlüsseln) und Jahreskarte für die Öffis. Zwischendurch Arzttermine, ein MRT, ein Todesfall in der Familie, mehr Besorgungen – und war da nicht noch etwas, das sich Arbeit nennt?

“Reduzieren Sie Stress, denn wie wir heute wissen, wirkt sich ein erhöhtes Stressniveau ungünstig auf Entzündungsherde im Körper aus.”
“Mhm. Danke für den Hinweis.”

Wie gerne würde ich in Ruhe mit dem Hund einen Waldspaziergang unternehmen, mich aufs Sofa legen oder von mir aus auch ganz entspannt in einen ruhigen Arbeitstag im Homeoffice starten, aber wer übernimmt dann den Rest? An ein Ausdünnen des Terminkalenders ist nicht zu denken. Die ersten Schulwochen sind nun einmal intensiv und im Herbst fällt auch diversen Kunden wieder ein, dass sie doch noch die ein oder andere Sache benötigen, denn: Es geht ja wieder los! Für die Tage, an denen es besonders dicht ist, nehme ich mir vor, meine Bedürfnisse hinunterzuschlucken. Einfach keine zu haben und so zu tun, als würde das eigene Ich gar nicht existieren – das löst das Problem, oder? Zwischendurch versuche ich, durchzuatmen, mich hinzulegen und mir bewusst Löcher im Kalender zu schaffen, in denen ich mir Zeit für mich selbst nehmen will.

Der Kopf fühlte sich schwer an. Das rechte Auge wollte nicht ordentlich scharf stellen und in den Ohren klingelte es. Und diese elende, bleierne Müdigkeit im Hirn und in den Gliedern … Bestimmt war das nur der Stress und nicht das VKH, oder? Und der Stress wird sich doch nicht negativ auf das VKH auswirken, nicht wahr? Alles wird besser und beim nächsten Termin auf der Augenklinik wird man mit Freuden die Kortisondosis weiter reduzieren können. Das ist der Plan und kein Schulanfangstrubel dieser Welt kann den durchkreuzen, das nahm ich mir fest vor, als wir nach einem dieser turbulenten Tage im Bett lagen und ich atemlos nach Luft schnappte.
“Mama?”, fragte das große Kind. “Hast du eigentlich die Badehaube besorgt, die ich brauche?”
Fuck.

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